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gebraucht und weggeworfen. ein plädoyer für hunde mit vergangenheit


.... ein verträglicher kleinerer schäferhund junge

.... auch ein eigenes zuhause bekommen, bei menschen, die ihm das geben, wovon er in seinem 3,5 jährigen leben bisher sehr wenig bekam; liebe und geborgenheit

.... sein früherer besitzer hatte ihn nur ab und an mal gefüttert

.... ist menschen gegenüber sehr zutraulich, rennt gerne bällchen hinterher um sie seinen menschlichen spielkameraden wieder zu bringen, bei anderen hunden ist er manchmal etwas wählerisch und entscheidet nach sympathie

.... wurde im oktober 2019 von einem züchter im tierheim abgegeben, da er nicht perfekt ist .... geboren ist sie in einem garten einer familie, die es "versäumt" haben, ihre tiere zu kastrieren

.... stattlicher malinois wurde ganz einsam auf einem grundstück ohne futter und wasser gefunden

.... es fällt schwer menschen zu vertrauen und am anfang sehr schüchtern

.... lebt seit 2016, seiner welpenzeit im tierheim

.... wurde angeschossen liegen gelassen und ist dabei fast zu tode gekommen

.... zuerst verliert er sein älteres herrchen, der ihn nicht mehr versorgen konnte und ins pflegeheim musste. nachher verlor er sein augenlicht

dieser auszug aus verschiedenen vermittlungstexten für tierschutzhunde zeigt deutlich, dass nicht jeder hund, der in einem tierheim sitzt, eine schwierige vergangenheit oder ein riesengroßes päckchen an schlechten erfahrungen zu tragen hat. es gibt scheidungswaisen, hunde, deren besitzer_innen sie nicht mehr versorgen konnten, ungewollte welpen, hunde, deren besitzer_innen, keine zeit mehr hatten oder haben wollten - die geschichten sind so vielfältig, wie es die hunde auch sind.

was aber alle diese hunde vereint ist, dass sie vorerfahrungen haben, die sie prägen und die sie auch verwenden, um in ihrem leben zurecht zu kommen.

jeder hund entwickelt seine eigenen strategien, wie er mit veränderungen in seinem leben umgeht. manche können eine trennung oder den verlust des vertrauten (auch der_die vielleicht prügelnde vorbesitzer_in kann vertraut sein und vermisst werden) scheinbar gut verkraften, andere scheinen daran zu zerbrechen.

wer sich dafür entscheidet, einem hund aus dem tierschutz ein neues zuhause zu geben, sollte sich darüber im klaren sein, dass jede erfahrung, die ein lebewesen gemacht hat, niemals gänzlich ausgelöscht wird und gerade in stress- und angstsituationen hunde auf diese zurückgreifen und in verhalten fallen können, die in ihrem neuen umfeld nicht erwünscht sind oder vielleicht sogar gefährlich sein können.

verabschieden müssen wir uns von dem gedanken, dass second-hand-hunde dankbar sind, dankbar gerettet zu werden, dankbar von einem menschen betüdelt zu werden, dankbar ein brustgeschirr umgeschnallt zu bekommen und um den häuserblock geführt zu werden - all dies kann auch stress und angst auslösen.

wenn wir mit dieser erwartungshaltung einen hund übernehmen, werden in vielen fällen mensch und hund enttäuscht und von der neuen situation überfordert sein.

das klingt nun nicht unbedingt wie ein plädoyer dafür, einem hund eine zweite chance zu geben, oder? es ist mir allerdings wichtig, dass wir menschen uns davon befreien, uns selbst als große retter_innen zu sehen, die einmal mit dem zauberstab wedeln und alles negative, alles was nicht in unser leben passt, wegzaubern.

ich möchte uns lieber als weiße ritter_innen sehen, die der fels in der brandung sind, die es schaffen, die eigenheiten, die jeder hund mitbringt, zu sehen, anzunehmen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass die lebenswelt für beide seiten eine wird, die genossen werden kann.

ganz egal wieviel erfahrung wir als mensch mit hunden haben, ganz egal mit wievielen hunden wir schon unser leben geteilt haben, jeder neue hund hat das recht als individuum wahrgenommen zu werden. jeder hund hat das recht, dass wir menschen nicht in unserem alten wissen verharren, sondern mit ihm gemeinsam wachsen, neues lernen, neue erfahrungen machen.

wer sich bewusst ist, dass ein lebewesen ins haus kommt, dass bisher ganz anders gelebt hat, wird sich selbst und den hund nicht ständig überfordern und beide können ein neues leben beginnen.

hunde sind, wie auch menschen, sehr lernfähig, aber sie brauchen zeit, ihr eigenes lerntempo und menschen, die sie unterstützen und fördern, dann können sie ihre vergangenheit oft soweit hinter sich lassen, dass sie in ihr neues leben hineinwachsen.

egal wie alt der hund ist, der einzieht, er muss nicht sofort die ganze (erweiterte) familie und den gesamten freundeskreis kennenlernen. ein besuch beim tierarzt sollte nur stattfinden, wenn dieser medizinisch indiziert ist und auch die hundeschule muss nicht gleich zu beginn des gemeinsamen lebens stehen. ruhiges ankommen,

gegenseitiges kennenlernen, den eigenen futternapf finden, langsam die neue umgebung erkunden - das ist vollkommen ausreichend für die erste zeit im neuen zuhause.

natürlich kann das zusammenleben, gerade in der ersten zeit, auch schwierig sein und der himmel wird nicht immer voller geigen hängen. immerhin sollen zwei, sich komplett fremde, lebewesen ihr weiteres leben miteinander verbringen. die nicht wissen, wie ihr gegenüber in ganz "normalen" alltagssituationen reagieren wird und die gänzlich verschiedene lebenserfahrungen gemacht haben und damit ihre umwelt und auftretende situationen ständig bewerten.

gerade hunde müssen oftmals ganz viel lernen, um ihr neues leben meistern zu können - neue strategien im umgang mit menschen, mit hunden, mit situationen, die sie möglicherweise ängstigen. aber sie können und sie wollen lernen - sie zu begleiten ist unsere aufgabe.

das gemeinsame lernen ist bereichernd, schafft zusammenhalt, macht stark und ja, es kann auch mühsam und ermüdend sein - und das darf man sich als mensch auch eingestehen und sich hilfe holen, wenn es notwendig ist. wir können für unsere hunde nur starke partner_innen sein, wenn wir auch stark für uns selbst sind.

deshalb es ist wichtig, dass wir uns als menschen die zeit nehmen, die es braucht, eine familie, ein team zu werden und uns nicht von uns selbst und von (gut gemeinten) ratschlägen unter druck setzen lassen, dass alles viel schneller gehen muss oder dass der hund schon viel mehr können sollte.

vielmehr sollten wir die zeit des gegenseitigen ankommens bewusst als zeit eines neuanfangs sehen - mit allen höhen und tiefen die sie mitbringen wird. freuen wir uns an jedem noch so kleinen erfolg, den wir zusammen haben, an jedem schritt in die gemeinsame richtung. und genießen wir das zusammenwachsen, das miteinander vertraut werden.

dieser artikel erscheint im rahmen der blogparade 2019 fair statt fies zur aktion "tausche tv-trainer-ticket gegen training" der initiative für gewaltfreies hundetraining. seit 2014 tauschen über 200 trainer und trainerinnen aus österreich, deutschland und der schweiz gebrauchte tv-trainer-tickets für ein halbes jahr nach der veranstaltung gegen eine gratis-trainingsstunde.

alle artikel der blogparade 2019 gesammelt unter https://www.knowwau.com/fair-statt-fies-die-blogparade/

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